Ist der Verzicht auf Gift- und Schadstoffe bei der Herstellung von Outdoorbekleidung möglich?
Ätzend, sauer, giftig: Pestizide, synthetische Dünger, Alkylphenole, krebserregende Schwermetalle, chlorierte Lösungsmittel, Biozide und Antipilzmittel – nicht alles im Outdoor-Business ist sauber. Ausgerechnet viele der hoch spezialisierten Textil- und Leder-Outdoor-Produkte belasten Umwelt und Menschen. Auch wenn Deutschland zu den Ländern mit den höchsten Umweltstandards zählt, dazu die gesetzliche EU-Öko-Verordnung und zudem europaweit strenge Chemikaliengesetze gelten, so werden weite Teile der bestehenden EU-Chemikaliengesetze trotzdem nicht vollständig um- und durchgesetzt. Zudem stammt der Großteil der Textilproduktionen aus Ländern, die solche Standards nicht kennen beziehungsweise ignorieren.
Wichtige Siegel und Informationsquellen zum Thema Nachhaltigkeit
- Bluesign Product, Siegel für Produkte, die zu mindestens 90 Prozent in zertifizierten Fabriken verarbeitet wurden, www.bluesign.com/de
- GOTS, Global Organic Textile Standard, www.global-standard.org/de
- Higg Index, Optimierungs-Tool der gemeinnützigen Sustainable Apparel Coalition (SAC), https://apparelcoalition.org/the-higg-index
- IVN – Internationaler Verband der Naturtextilwirtschaft e. V. mit den Qualitätssiegeln Naturtextil IVN zertifiziert Best und Naturleder IVN, https://naturtextil.de
- Klarheit unter Siegeln, www.siegelklarheit.de
- Netzwerk Kampagne für Saubere Kleidung, https://saubere-kleidung.de
- Scan4Chem, App des Umweltbundesamtes, die per Barcode Kleidung auf besonders giftige Chemikalien prüft
- Weitere Labels: EU Ecolabel (Textilien), Fairtrade (Baumwolle), Blauer Engel (Textilien), Oeko-Tex (made in Green, Eco Passport, Standard 100, Detox To Zero, Step by Oeko-Tex), Nordic Ecolabel (Textilien), Cradle to Cradle (Textilien), Naturland, Toxproof
Die Oeko-Tex Labels und Zertifikate
Hoffnung macht in dieser Situation unter anderem die 2011 initiierte Greenpeace-Detox-Kampagne. Rund 80 Textilunternehmen garantieren damit, auf giftige Chemikalien zu verzichten. Auch wenn drei Outdoor-Labels ausgestiegen sind und ökologisch sehr bedenkliche PFCs (PFCec) erst bis 2023 aus dem Lebenszyklus vieler Outdoor-Produkte eliminiert sein werden – für Membranspezialist Gore gehört etwa das umstrittene Fluorpolymer PTFE nicht zu den ökologisch bedenklichen PFCs, andere Membranhersteller verzichten ausdrücklich auf diesen Stoff –, gibt es bereits politische Auswirkungen:
In China wurden strengere Abwasserstandards durchgesetzt, zudem gilt seit diesem Jahr ein EU-weites Einfuhrverbot für Textilien, die giftige Nonylphenolethoxylate (NPE) enthalten. In Indonesien und Mexiko greifen gesetzliche Maßnahmen für saubereres Wasser. „Die Detox-Verpflichtungen wirken, und sie entziehen dem Rest der Branche seine Ausreden“, so Viola Wohlgemuth, Greenpeace-Expertin für Textilien. „Firmenverantwortung und Giftfreiheit werden zur Selbstverständlichkeit in der Branche.“
Mut macht auch die Universität Chemnitz. Ihre Textile School zeigt Textilherstellern aus aller Welt, wie nachhaltiges und schadstofffreies Herstellen auch in heimischen Textilunternehmen mit regionalen Rohstoffen machbar ist. Immer mehr Hersteller nutzen zudem ausschließlich Substanzen, die laut EU-Chemikalienverordnung Reach sicher und zugelassen sind, oder sie leisten sich zertifizierte Zulieferer. Und auch wenn gefühlt zum Beispiel schon drei Viertel aller Materialhersteller und Zulieferer in Taiwan Bluesign-zertifiziert sind, so kommen doch von Saison zu Saison noch aus einigen Laboren umweltfreundliche Neuentwicklungen rund um synthetische und Naturfasern. Setzen Endverbraucher dann, um gefährliche Inhaltsstoffe in der Kleidung zu meiden, auf 100 Prozent Oeko-Tex, GOTS oder eines der weiteren seriösen, vertrauenswürdigen Labels (siehe Infokasten), liegen sie schon ziemlich sicher.
Erste Hersteller bringen ab Herbst dieses Jahres gut funktionierenden Wasser- und Regenschutz ohne Imprägnierung und PFC-Membrane auf den Markt: Helly Hansen mit Lifa-Infinity ohne chemische Zusatzstoffe, Picture Organic Clothing mit hydrophober BenQ XPore aus Polyolefin, das nur Kohlenstoff und Wasserstoff, aber keine Lösungsmittel enthält. Mit Dimpora aus ungefährlichem Polyurethan – die Entwicklung eines Schweizer Start-ups – gibt es eine weitere Hochleistungsmembrane ohne PTFE. Immer mehr kümmert sich die Industrie auch um sortenreine Bekleidung aus Monomaterialien – ideal fürs Closed-Loop-Recycling, denn aufwendige Trenn- und Sortierverfahren entfallen. Im Kommen sind außerdem Outfits, die zu 100 Prozent aus recyceltem, schadstofffreiem Polyamid und Polyester (GRS- und Bluesign-zertifiziert) gefertigt sind und über eine fluorcarbonfreie Imprägnierung verfügen, genauso wie Bekleidung, die zu 100 Prozent aus recyceltem Nylon und Elastan besteht.
Outdoorbekleidung der Zukunft – ist PFC-frei möglich?
Was tut sich im Outdoor-Markt?
Erste Daunenjacken lassen sich kompostieren, Primalofts synthetische Bio-Fasern zerfallen unter Müllkippen-Bedingungen zu Wasser, Kohlenstoffdioxid, Methan und Biomasse. Ebenso ein neues Polyesteramid: Der biologisch abbaubare Kunststoff zersetzt sich unter bestimmten anaeroben Bedingungen auf Müllhalden und sogar im Meerwasser. Außerdem setzen die Hersteller für 2021 vermehrt auf Zellulosefasern aus zertifiziertem Holz; in Zukunft werden die Fasern auch aus Landwirtschaft und aus Bioabfällen gewonnen.
Die Materialien lassen sich komplett recyceln, ebenso wie biobasierte Chemiefasern, etwa Polyamid aus dem Öl der Rizinusbohne. Neu bereits ab Herbst sind Hybrid-Kombinationen aus recyceltem Polyester mit der Powerfaser Hanf oder mit extrafeinem Kork. Bio-Baumwolle geht Verbindungen mit Polyester aus recyceltem Ozeanplastik und mit Hanf ein. Natürliche Stoffe aus Papier, Leinen und Tencel-Mischungen zeigen funktionelle Benefits. Neue Softshell-Jacken sind zu 100 Prozent aus Merino- oder Alpakafasern, inklusive natürlicher Färbung der Wolle ohne chemische Färbeprozesse und Verzicht auf Chlor.
Doch den Wandel zur nachhaltigen Konsumkultur werden Endverbraucher und Fachhändler nicht alleine vollziehen können. Erste Sport- und Outdoor-Fachgeschäfte konzentrieren sich bereits auf ein ausschließlich nachhaltiges Warenangebot.
Politik muss mitziehen
Doch auch die Politik muss handeln. Ende Juni hat der Umweltausschuss des Europaparlaments einen Paradigmenwechsel in der Chemiepolitik und Chemieindustrie gefordert. Gefahren, die von der Herstellung, Nutzung und Entsorgung von Tausenden Chemikalien ausgehen, sollen minimiert werden. Außerdem rechtfertigt Recycling nicht die Fortsetzung der Verwendung gefährlicher Altstoffe. So sollen etwa endlich alle Polymere (zum Beispiel Plastik) in Reach aufgenommen und gemäß ihrer Gefährlichkeit reguliert werden.
Auch für die praktisch unzerstörbaren per- und polyfluorierten Alkylsubstanzen (PFAS, bekannt auch als PFC oder PFT), fordert das Parlament die EU-Kommission auf, einen Aktionsplan vorzulegen, um möglichst bald alle nicht unbedingt notwendigen Anwendungen zu verbieten.
Last modified: 2. November 2023